Schule und Bildung in Zeiten der Pandemie
Corona wirkt auch als Brennglas: Missstände werden deutlicher und strukturelle Probleme, die schon vor Corona da waren, können jetzt nicht mehr ausgeblendet werden. So die Eingangsmetapher, mit der die Moderation Anja Backhaus die 6. Folge "Zeitfragen - Streitfragen" der
Lobby für Demokratie einleitete.
Unter die Lupe genommen wurde das Thema "Schule und Bildung in Zeiten der Pandemie". Als Gesprächsteilnehmende der Veranstaltung im Plenarsaal der Bezirksregierung brachten Dr. Antonietta Zeoli, Schulleiterin des
Wim-Wenders-Gymnasium, Gabriella Lorusso, Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Rafailia Sidiropoulou, Schülerin der
Montessori Gesamtschule Flingern, und Alexander Jaegers, Sozialpädagoge der Jugendberufshilfe Düsseldorf im
Rather Modell, ihre je unterschiedlichen Erfahrungen und Einschätzungen ein.
Unisono bestätigt wurde die konkrete Befürchtung, dass Schülerinnen und Schüler in Folge der veränderten Rahmenbedingungen - etwa Distanzunterricht - in zunehmendem Maße "abgehängt" werden.
Auch wenn das "Streitgespräch" keine radikale inhaltliche Konfrontation aufkommen ließ, so ließen sich je nach Zielgruppenerfahrung zumindest unterschiedliche Fokussierungen und Bewertungen ausmachen.
Während etwa Gabriella Lorusso als ein zentrales Problem die "strukturelle Diskriminierung" und damit verbundene Ungerechtigkeiten in den Blick nahm und eine Abkehr von den geistes-und kulturwissenschaftlichen Fächern konstatierte, konzedierte Dr. Antonietta Zeoli zwar, dass die Schere immer größer werde, verweigerte sich aber einer reinen Defizitfixierung und plädierte dafür, auch konsequent und kreativ die Chancen zu nutzen, die sich im Rahmen der gegenwärtigen Krise böten.
Ein Punkt, in dem sich alle einig waren, betraf die Bedeutung sozialer Kontakte für Schule und Bildung. Sei es, dass Schülerinnen und Schüler im Distanzunterricht andere Rollen für sich finden müssen, sei es dass der gemeinsame stabilisierende Rahmen entfällt, sei es, dass in Folge von Isolation und mangels kritischen Feedbacks Informationen ungefiltert aus dem Netz entnommen werden und sich die Anfälligkeit für einfache Parolen, ggf. auch Verschwörungstheorien erhöht.
Dass es sich hier nicht nur um Fremddiagnosen, sondern um reale Probleme handelt, konnte Rafailia Sidiropoulou, die kurz vor der Abiturprüfung steht, aus eigener Erfahrung bestätigen.
Für Alexander Jaegers, der zurzeit 19 Schülerinnen und Schüler des Rather Modells betreut, die dem "normalen" Unterricht aus den verschiedensten Gründen fernbleiben, lassen sich viele Einschätzungen nicht auf seine - zugegebenermaßen nicht repräsentative - Schülerschaft übertragen, die sich ohnehin mit Schule schwer tue. So versuche man im Rahmen des Rather Modells zunächst einmal, die Jugendlichen anzunehmen, den schulüblichen Druck herauszunehmen, Ursachen für den je individuellen Schulabsentismus auszuräumen um dann perspektivisch Schülerinnen und Schüler so zu stabilisieren, dass sie im Idealfall auch wieder Regelschulen besuchen.
Allerdings vermag er sich der allgemeinen Begeisterung, wie gut mittlerweile digitaler Unterricht funktioniere, nicht anschließen, zeigt dies in seinen Augen doch eher, wie schlecht es um dieses Thema bislang bestellt gewesen sei. Und der technische Minimalstandard stabiler WLANs sei nach wie vor nicht überall gegeben.
Essentieller als der Aspekt digitalen Wissenstransfers ist für ihn allerdings, dass die Möglichkeit einer echten Verbindungsaufnahme face-to-face mit Schülern, Eltern und Kooperationspartnern derzeit nicht wirklich zu realisieren ist. Hinzu komme, dass auch Aspekte wie etwa die Ausbildung eines Demokratieverständnisses bei der unvermeidbaren Konzentration auf die Fächer der anstehenden Abschlussprüfungen letztlich unter den Tisch fielen.
Auf die abschließende Frage, was wir zukünftig bräuchten, antwortet Frau Dr. Antonietta Zeoli: "Empathie, Wertschätzung und die Annahme, dass der andere vielleicht recht hat." - Nun, diese Bedingungen schienen zumindest in diesem "Streitgespräch" gegeben.
(Bilder mit freundlicher Genehmigung der Lobby für Demokratie)